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23.03.2021

Prozesse und Agilität? Eine neue Form der Bankorganisation

Banken stehen 2021 vor besonderen Herausforderungen, denn die Bankenlandschaft in Deutschland wurde durch eine Konsolidierungswelle nachhaltig verändert. Steigende Kosten und die zunehmende Konkurrenz durch neue Anbieter führen zu immer mehr Bereichsschließungen oder Übernahmen und Fusionen von Instituten. Trotzdem gilt die Bankenbranche immer noch als „overbanked“. Durch die vielen Genossenschaften und Sparkassen ist die Zahl der Institute in Deutschland sehr hoch. Zum selben Zeitpunkt treten außerdem gehäuft FinTechs in den Markt. Diese locken den Kunden mit sehr innovativen Angeboten und einem schnellen Service. Der Druck auf die Branche nimmt also immer weiter zu. Die Herausforderungen liegen vor allem darin, die eigene Flexibilität und Agilität als Bank zu steigern, um schnell – und besonders kundenzentriert – auf dem Markt zu agieren und somit die Möglichkeiten der Digitalisierung konsequent auszuschöpfen. Genau das ist der Mehrwert, der hinter einer agilen Organisation steckt.

Agilität – nur ein Hype?

Die Risiken, die die Agilität mit sich bringt, sollten eingegangen werden. Denn Banken müssen genau wie andere Unternehmen in der freien Marktwirtschaft kundenzentriert und vor allem schnell agieren. Es geht also nicht um Optionen oder darum, auf einen „Hype“ aufzuspringen, sondern um eine zwingende Voraussetzung zur Weiterentwicklung kundenorientierter Geschäftsmodelle. Die Entwicklung zu einer agilen Denkweise kann dabei planerisch und strukturiert erfolgen.

Exkurs

Das Agilitätskonzept aus der Systemtheorie existiert nicht erst seit 2016, sondern bereits seit den fünfziger Jahren. Der amerikanische Soziologe Talcott Parsons hat dabei vier Funktionen identifiziert, um seine Existenz zu erhalten. Aus den Anfangsbuchstaben der vier definierten Funktionen erschließt sich das bekannte AGIL-Schema:

  • Die „Adaption“ beschreibt die Fähigkeit eines Systems, auf die sich verändernden äußeren Bedingungen zu reagieren.
  • Goal Attainment“ bedeutet, dass die Organisation Ziele definiert und nachverfolgt.
  • Des Weiteren soll Kohäsion (Zusammenhalt) und „Inklusion“ hergestellt und abgesichert werden.
  • Grundlegende Strukturen und Wertmuster sollen dabei aufrecht erhalten werden („Latency“).

Doch warum ist die Transformation zu einer agilen Bankorganisation so herausfordernd?

Zentrale Eigenschaften einer Bank wie Stabilität und Verlässlichkeit dürfen auf dem Weg zu einer agilen und flexiblen Organisationseinheit niemals gefährdet werden. Aus diesem Grund ist die Stabilität weiterhin die Basis für ein langfristig erfolgreiches Geschäftsmodell. Parallel dazu garantiert Agilität die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit einer Bank. Dies zeigt, dass nur ein hybrider Ansatz aus Stabilität und Agilität nachhaltigen Erfolg verspricht.

Standardisierte Prozesse als Fundament zur Einhaltung von regulatorischen Anforderungen

Stabilität im Rahmen von standardisierten Kundenprozessen und die Einhaltung von regulatorischen Anforderungen können über ein Core-Banking-System, in dem operative Prozesse weiterhin linear organisiert werden, gewährleistet werden. Über das Argument der Regulatorik hinaus ist es generell sinnvoll, bestehende Prozesse transparent zu machen und existierende Regelwerke in Prozessdarstellungen zu transformieren. Prozesse sind schon längst zur Voraussetzung geworden und die Digitalisierung ist dabei auf keinen Fall Selbstzweck. Die Banken werden erfolgreich sein, wenn sie die Bedürfnisse der Kunden kennen, verstehen und die dazu passenden Produkte und Services anbieten. Durch die Dokumentation von End-to-End-Prozessen können Mitarbeitende befähigt werden, über Abteilungsgrenzen hinweg zu denken und Entscheidungen zu treffen. Eine kundenzentrierte Ausrichtung ist dadurch viel leichter umzusetzen und bisherige Barrieren können aufgelöst werden (siehe Abbildung zu Prozessorganisation 2.0). Die Transparenz über Prozesse, die neue serviceorientiere Ausrichtung der Organisation und die anschließenden Möglichkeiten zur Digitalisierung stellen somit gemeinsam die Basis für einen erfolgreichen Weg zur einer agilen Bankorganisation dar.

Organisation 1.0

Prozessorganisation 2.0

Auf dem Weg von einer reaktiven Unterstützungseinheit hin zu einer agilen Organisation

Damit die Organisation dennoch agil auf das oben dargestellte Marktgeschehen reagieren kann, stellt sich folgende Frage: Wie muss das Team aufgestellt werden, um sich von einer reaktiven Unterstützungseinheit hin zu einem aktiven Innovator für Veränderungen zu entwickeln? Vorbild für die Umsetzung ist vor allem die agile Software-Entwicklung.  Die Innovationen innerhalb der Bank sollen durch aktivere Mitgestaltung gefördert werden. Dabei geht es darum, Hierarchien im Kopf aufzulösen und das Umsetzungsdenken in Release-Terminen sowie die permanente Berücksichtigungen von rechtlichen Änderungen mehr und mehr aufzulösen. Nicht nur die Abstufungen in Hierarchien, sondern auch das Spannungsfeld zwischen Generalisten und Spezialisten spielt dabei eine Rolle. Mittels agilen Workspaces kann die Innovationsfähigkeit sowie freiheitliches und unternehmerisches Denken innerhalb der Organisation gefördert werden. Organisatorisch kann ein Mehrwert erzielt werden, wenn Innovation Hubs nicht als Stabstellenfunktion innerhalb der Organisation verankert sind. Stattdessen müssen Mitarbeitende in der Linie für aktuelle Trends sensibilisiert werden: Digitalisierung, FinTechs, Lean Management, agile Methoden, Künstliche Intelligenz – thematisch sind keine Grenzen gesetzt. In regelmäßigen Jour Fixes oder mittels „Working Out Loud“-Methode können sich Mitarbeitende gegenseitig über die neuesten Entwicklungen austauschen und offene Diskussionen führen, um den künftigen Handlungsrahmen anzustoßen.

Die Organisation kann zwar weiterhin als Matrix aufgestellt sein, die Wege und Kommunikation zwischen den Abteilungen laufen durch die Vernetzung (die durch agile Methoden entstehen) jedoch anders ab (siehe Abbildung).

In der Darstellung stellt der graue Kreis die kundenzentrierten Prozesse dar und der blaue Kreis die internen Bankenprozesse. Die Strukturierung in interne und externe Prozesse (und nicht in Management-, Support- und Kernprozesse) unterstützt dabei, die Prozesse kundenzentrierter zu denken.

Im Zeitverlauf kann sich dadurch eine Bereitschaft zum Ausprobieren entwickeln und durch die selbständige Organisation der Teammitglieder die Entstehung eines agileren Mindsets der Mitarbeitenden angestoßen werden. Instrumente, die dazu genutzt werden können sind insbesondere die aus SCRUM: Planen in Sprints, tägliche kurze Meetings, Visualisierungen des Projektfortschritts und Retrospektiven. Somit kann sich aus einer Abteilung, die vom Linienmanagement geprägt ist, aus eigenem Antrieb heraus eine Organisation mit „Barcamp“-Charakter entwickeln.

Anforderung an die Banken

Management-Unterstützung ist bei der Entwicklung zu einer agilen Organisation unabdingbar. Daher sollten Bereichsleiter auf jeden Fall in die Veränderungsprozesse eingebunden werden. Des Weiteren sollten Kapazitäten aus der Linienorganisation für Veränderungsprojekte eingesetzt werden. Gerade bei einer Transformation zu einer selbstorganisierten, dezentralen Struktur ist es unerlässlich, die Mitarbeitenden frühzeitig und transparent in den Veränderungsprozess miteinzubeziehen. Häufig werden beim Wandel zur agilen Organisation die Mitarbeitenden nicht uneingeschränkt eingebunden.

Zusammengefasst

Agile Methoden können nur ein Teilaspekt bei der Entwicklung zu einer kundenzentrierten Bank sein. Daher ist es wichtig, insbesondere die Ziele agiler Arbeitsweisen zu verinnerlichen und in der Unternehmenskultur zu verankern. Denn nur so werden agile Methoden nicht zum Selbstzweck. Nur wenn auch die Haltung und das Mindset der Mitarbeitenden und des Managements auf Kundenbedürfnisse ausgerichtet sind, können sich Banken zukunftssicher aufstellen.

Allerdings sollte man auch betonen, dass  das eine agile Organisationsmodell als Blaupause nicht existiert. Jedes Geschäftsmodell ist anders und jede Bank muss daher seinen eigenen organisatorischen Rahmen und seinen passenden Transformationspfad finden. Ein hybrides Modell mit transparenten Prozessen und agilen Workspaces zum Vorantreiben von Innovationen bietet sich hier als Lösungsansatz an.

 

Autorin: Stefanie Peiler